„Marke ist Werttreiber und Leuchtturm – gerade, wenn alles im Wandel ist“
Ein Gespräch mit Sven Theobald, Global Lead, Bayer Brand & Corporate Brand Squad
Bayer gehört zu den wertvollsten Marken der Welt. Doch was bedeutet das eigentlich in Zeiten, in denen Konzerne ihre Strukturen aufbrechen und Markenführung plötzlich agil gedacht wird? Ein Gespräch über Markenwert, Unternehmenskultur, künstliche Intelligenz – und warum Logo-Richtlinien allein heute nicht mehr reichen.
Stephan: Sven, der Markenwert von Bayer gehört seit Jahren zur absoluten Spitze. Aber mal ehrlich: Was bedeutet „Markenwert“ heute noch – jenseits von Tabellen und Rankings?
Sven: Markenwert ist weit mehr als eine Zahl im Geschäftsbericht. Er ist ein Vertrauensbeweis – insbesondere von Kunden, Patienten, Landwirten, Konsumenten. Wenn der Wert steigt, heißt das: Wir werden als verlässlicher, relevanter Partner wahrgenommen. Und dieses Vertrauen wirkt nach innen. Es gibt Orientierung, Stolz, Zugehörigkeit.
Stephan: Also ein psychologischer wie ökonomischer Faktor?
Sven: Genau. Wir messen das natürlich auch faktisch – über Studien zur Bekanntheit, Reputation und Verhaltensbereitschaft. Zentrale Indikatoren sind der “Desired Behavior Score” und der „Bayer Brand Uplift“: Wie stark beeinflusst unsere Marke Verhalten – ob jemand kauft, empfiehlt, investiert oder bei uns arbeiten möchte? Oder wie unsere Produkte bewertet werden. Das sind handfeste, geschäftsrelevante Kennzahlen.
Vom Marken-Elfenbeinturm zum agilen Netzwerk
Stephan: Ihr habt euer Organisationsmodell radikal umgestellt – weg von Hierarchien hin zu einem System namens Dynamic Shared Ownership. Was steckt dahinter?
Sven: Kurz gesagt: Wir stellen Teams statt Titel in den Mittelpunkt. Statt klassischer Linienstrukturen arbeiten agile Squads an klar definierten Outcomes – immer mit Fokus auf Kundennutzen oder Produkt. Alle 90 Tage wird überprüft, ob die Ressourcen dort eingesetzt sind, wo sie den größten Beitrag zur Mission leisten. Das verändert natürlich auch, wie Marke geführt wird.
Stephan: Inwiefern?
Sven: Früher gab es zentrale Markenrichtlinien – die gibt es auch weiterhin. Heute verstehen wir uns darüber hinaus als Coach und Enabler. Wir erklären nicht nur, wie etwas “on brand“ ist, sondern warum. Das heißt: weniger Kontrolle, mehr Überzeugung. Unser Team geht aktiv in die Organisation, in Projekte, zu Teams oder wird als Capability angefordert – und macht dort klar, warum Markenarbeit kein Selbstzweck ist.
Marke als Klammer in der Transformation
Stephan: Was sagen die Leute, wenn jemand aus deinem Team auftaucht und über Markenkonsistenz spricht? Nach dem Motto: “Wir müssen hier keinen zentralen Richtlinien mehr folgen.“
Sven: Das ist natürlich der Klassiker! Und genau da setzen wir an. Denn Marke ist das, was uns alle verbindet. Bayer ist unglaublich divers – mit drei Divisionen, hunderten Produkten und sehr unterschiedlichen Zielgruppen. Aber über allem steht dieses eine Dach, nämlich Bayer und unsere starke Mission „Health for all, Hunger for none“.
Wenn wir das nicht konsequent am Arbeitsplatz oder in unserer Kommunikation sichtbar machen, verlieren wir Zusammenhalt, Differenzierung und markengetriebene Wertschöpfung.
Gleichzeitig müssen wir heute, um Akzeptanz und Unterstützer zu gewinnen, aber auch Freiheitsgrade („Freedom in a Frame“) und kreative Spielräume wesentlich stärker als früher ermöglichen – und Mitarbeitende empowern, diese auch selbstständig zu nutzen.
Stephan: Also ist Markenführung auch Kulturarbeit?
Sven: Absolut. Sie schafft Identität. Und gerade in einer Organisation, die sich agil transformiert, ist sie der emotionale Kitt. Wenn alles im Wandel ist, braucht man einen gemeinsamen Referenzpunkt.
Genauso muss Marke in einer dynamischen und unternehmerisch denkenden Organisation aber auch Kreativität unterstützen – das heißt zum Beispiel, Varianten anbieten und in der Lage sein, sich in der Transformation stetig mitzuverändern.
Eine zeitgemäße Identität darf nicht „in Stein gemeißelt“ sein. Strategisch angewandt, kann Marke auch als Katalysator im Wandel agieren – unsere „Smart Brand Evolution“ in den vergangenen zwei Jahren ist ein gutes Beispiel für dieses Potenzial.
„Wir brauchen Überzeugung statt Hierarchie“
Stephan: Wie erreicht ihr, dass diese Überzeugung tatsächlich durch die Organisation sickert?
Sven: Indem wir dort sind, wo die Menschen sind. Früher dachte man: „Wir haben ja ein Brand Portal, da steht alles drin.“ Heute wissen wir: Die Allerwenigsten schauen da jeden Tag vorbei. Also kommunizieren wir proaktiv – über interne Social-Media-Kanäle, Newsletter, Coachings. Wir treten als Sparringspartner auf. Das Ziel ist, dass alle Mitarbeitenden sagen können: Ich verstehe die Marke – und ich kann sie anwenden und selbstbewusst vertreten.
Dazu gehört auch, ganz praktisch in den Tools präsent zu sein, die Markennutzer und Content Creators täglich nutzen, z. B. mit Template-Lösungen oder Standardeinstellungen, die „on brand“ sind.
Stephan: Das klingt sehr modern – aber auch nach viel Aufwand.
Sven: Stimmt. Aber es lohnt sich. Wenn möglichst viele unserer 90.000 Mitarbeitenden Markenbotschafter sind, dann ist das ein riesiges Asset.
Künstliche Intelligenz als Markenhelfer
Stephan: Kein Gespräch ohne KI-Frage: Wie verändert Künstliche Intelligenz eure Arbeit im Branding konkret?
Sven: Grundlegend. KI ist ein Katalysator. Wir nutzen sie, um Reichweite und Konsistenz zu erhöhen. Ein Beispiel: Unser Verbal Identity Agent prüft Texte auf die Bayer-Tonalität. In unserem Digital Asset Management können Teams KI-generierte Bilder erstellen – natürlich „on brand“. Oder mit einem weiteren Agent visuelle Layouts automatisiert bewerten lassen. Das spart Zeit, aber vor allem macht es Markenarbeit zugänglicher.
Stephan: Also keine Bedrohung für Brand & Communications, sondern ein Hebel?
Sven: Genau. Die Gestaltungsprinzipien bleiben gleich – aber KI hilft, sie konsequenter umzusetzen. Und in einem dezentralen „Network of Teams“ wie unserem ist das Gold wert.
„Marke ist das Versprechen, das uns eint“
Stephan: Wenn du die Essenz von Marke in einem Satz zusammenfassen müsstest?
Sven: Marke ist mehr als Logo – sie ist das Versprechen, das uns eint. Sie definiert, wer wir sind, wofür wir stehen und warum wir relevant bleiben – oder kurz: auf welcher Mission wir sind. Gerade jetzt, wo Wandel zur Normalität geworden ist, ist eine starke Marke wichtiger denn je.
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